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"Brief aus Budapest #3": Orbán stärkt seine internationale Position | Von Gábor Stier

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Der Wahlkampf wird immer härter und schmutziger, nur noch knapp sechs Monate vor den Wahlen in Ungarn. Das Rennen bleibt offen, und es ist weiterhin nicht ausgeschlossen, dass Orbán Viktor trotz ernsthafter Erfolge auf der internationalen Bühne bei den Wahlen scheitert. Der Einsatz ist jedoch nicht nur innenpolitischer Natur, denn Orbáns politische Zukunft ist auch für die Stärkung der Positionen der souveränistischen-patriotischen Kräfte in Europa von Bedeutung. Es ist daher kaum ein Zufall, dass der ungarische Premierminister gleichzeitig Unterstützung aus Washington und Moskau erhielt, indem Budapest als Austragungsort für das nächste, derzeit verzögerte Treffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin vorgeschlagen wurde.

Ein Standpunkt von Gábor Stier, aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.

Die Gedenkfeiern am 23. Oktober anlässlich des ungarischen Volksaufstands von 1956 standen im Zeichen innenpolitischer Machtdemonstrationen. Sowohl die regierende Fidesz als auch die Oppositionspartei Tisza brachten in Budapest riesige Menschenmengen auf die Straßen. Tagelang herrschte ein „Zahlenkrieg“, welche Veranstaltung mehr Teilnehmer hatte. Der Wettbewerb ist jedoch vorerst offen, und es ist schwierig vorherzusagen, welche politische Kraft im April 2026 siegen wird. Herausforderer Péter Magyar setzt weiterhin auf die Ermüdung der Macht und die Proteststimmung, während Viktor Orbán – nachdem er seine Kampagne nach längerem Zögern angekurbelt hat – auf seine internationale Anerkennung bauen kann.

In dieser Hinsicht erhielt er ein für viele überraschendes „Geschenk“, als Budapest als Ort für das nächste Trump-Putin-Treffen ins Gespräch kam. Die Ankündigung des US-Präsidenten schockierte sowohl die ungarische Opposition als auch Kiew und das politische Establishment in der Europäischen Union. Zwar waren Orbáns innen- und außenpolitische Gegner etwas erleichtert, als der Gipfel auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, aber dies ändert nichts an der Tatsache, dass die Möglichkeit selbst eine Anerkennung für Orbán und die ungarische Diplomatie darstellt.

Diese Wahl ist nicht nur eine logistische, sondern auch eine politische Frage. Die Voraussetzung dafür ist, dass der ungarische Premierminister gute Beziehungen zu Wladimir Putin und auch ein freundschaftliches Verhältnis zu Donald Trump pflegt. So vertrauen beide Seiten darauf, dass die ungarische Regierung alles für die erfolgreiche Durchführung des Treffens tun wird. Ein wichtiger Gesichtspunkt war auch, dass Ungarn aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag ausgetreten ist und die Zuständigkeit des IStGH für die Ausstellung eines Haftbefehls gegen Benjamin Netanjahu abgelehnt hat. Diese Entscheidung ist auch eine Anerkennung für die pragmatische und realpolitische ungarische Außenpolitik, die diplomatische Kanäle in alle Richtungen offenhält und die Blockdenkweise ablehnt.

Die Achse Washington-Kiew-Brüssel im Fokus

Aber die Tatsache, dass der russische und der US-amerikanische Präsident sich in Budapest treffen könnten, ist eine Botschaft, die nicht nur die Regelung in der Ukraine, sondern auch die Richtung der globalen Transformation an Brüssel und Kiew signalisiert. Trump und Putin sind sich unausgesprochen einig, dass die europäischen „Willigen“, die den Krieg in der Ukraine noch eine Weile aufrechterhalten wollen, das Haupthindernis für eine Lösung des Konflikts darstellen. Die Entscheidung ist somit auch ein Seitenhieb gegen Brüssel und Kiew, die Viktor Orbán nicht mögen. Das Weiße Haus signalisiert damit trotz Trumps Schwankungen und gelegentlicher Unentschlossenheit erneut der europäischen Führungsetage, dass die Entscheidung über das Ende des Krieges nicht in Brüssel oder Kiew fällt.

Mit dieser Wahl kann der Kreml auch bestätigen, dass Russland nicht isoliert ist, da Putin seinen Amtskollegen aus Washington in einem EU-Mitgliedstaat treffen kann. Die Wahl des Ortes ist somit bereits ein diplomatischer Sieg für den russischen Präsidenten Putin. Die Verzögerung des Treffens ändert nichts an diesen Tatsachen und würde innenpolitisch Orbán ausgesprochen zugutekommen, wenn es auf das Frühjahr, den Höhepunkt des Wahlkampfs, verschoben würde.

Orbáns Laune wurde dadurch nicht getrübt, dass Trump und Putin vorerst nicht nach Budapest kommen. Der ungarische Premierminister traf sich in den letzten Tagen in Rom mit Papst Leo XIV. und der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni und wird am 7. November in Washington mit US-Präsident Donald Trump verhandeln. Der von der westlichen Mehrheitsmeinung abweichende ungarische Standpunkt findet somit an immer mehr Stellen Gehör, wenn auch nicht immer volle Zustimmung. Dies verschärft natürlich die Beziehungen zu Kiew und der dahinterstehenden europäischen sogenannten Koalition der Willigen, aber da die Haltung zum Krieg und zur Ukraine eines der zentralen Themen des ungarischen Wahlkampfes ist, stärkt Orbáns außenpolitisches Manövrieren die Position der Regierungspartei.

Es verbessert eindeutig das Image des Landes und stärkt seine Position in der Welt, vor allem in Europa. Ungarns Bekanntheit und politischer Handlungsspielraum sind heute größer, als es sein reales Gewicht vermuten ließe. Ein Erfolg des Treffens könnte diejenigen innerhalb der Europäischen Union stärken, die sich gegen die Mehrheit für ein Ende des Krieges aussprechen, sowie die Parteienfamilie „Patrioten für Europa“. Die spürbare Nervosität Brüssels in Bezug auf das Treffen untermauert dies indirekt bereits jetzt.

Regionale Koalitionen und die Rolle der Nachbarn

Das souveränistische Denken wird auch durch den Wahlsieg von Andrej Babiš in Tschechien auf der europäischen Bühne gestärkt, woraufhin sich eine ungarisch-slowakisch-tschechische Zusammenarbeit formiert, nicht zuletzt in der Frage der Unterstützung der Ukraine. Orbáns Isolation löst sich also durch die aufeinanderfolgenden Wahlen in Europa auf, und mit dem slowakischen Regierungschef Robert Fico und Andrej Babiš wird er effektiver auftreten können und kann in einigen Fragen auch auf die stillschweigende Unterstützung anderer Länder – Österreich, Italien oder einiger Mittelmeerstaaten – zählen.

Natürlich ist Tschechien nicht Ungarn und Babiš ist nicht Orbán. Die Beziehung zwischen den beiden Politikern ist sehr gut, und sie denken in vielen Fragen ähnlich. Nicht umsonst spricht der politische Direktor des ungarischen Premierministers davon, dass sich innerhalb der EU beispielsweise eine Achse Budapest-Bratislava-Prag bilden könnte – eine Art Visegrád-4 ohne Polen. Aber so wie Orbán und Fico in vielen Fragen einer Meinung sind und Bratislava Ungarn nicht in allem bis zum Äußersten unterstützen kann, muss Babiš auch in erster Linie von tschechischen nationalen Interessen und seinem eigenen Handlungsspielraum ausgehen. Babiš und die Tschechen stehen der EU beispielsweise weniger scharf gegenüber und haben auch eine nuanciertere Haltung gegenüber Russland. Ungeachtet dessen vertreten diese drei Länder in den meisten Fragen grundsätzlich ähnliche Positionen und werden denjenigen, die von der Ukraine als Geisel genommen wurden, das Leben schwer machen.

Während die europäische politische Mitte Orbán also weiterhin nicht gut leiden kann und alles daransetzt, um ihn bei den Wahlen im Frühjahr scheitern zu sehen, wächst die Popularität des ungarischen Premierministers in den europäischen Gesellschaften. Immer mehr Menschen erkennen, dass, so wie Orbán 2015/16 in der Migrationsfrage Recht hatte, auch jetzt seine Meinung zumindest angehört werden sollte.

Die EU-Führung reagiert auf abweichende Meinungen von der Mehrheitslinie jedoch mit dem Versuch, die Möglichkeit des Vetos zu umgehen und schließlich abzuschaffen. Orbáns Einfluss wächst jedoch nicht nur in den europäischen Gesellschaften, sondern auch im EU-Parlament und in der Europäischen Kommission. Mit der Fraktion „Patrioten für Europa“ muss man zunehmend rechnen, ebenso wie der ungarische Premierminister in der Kommission nicht völlig allein dasteht.

Orbáns Besuch in Washington fügt sich ebenfalls in diesen Trend ein. Orbán und Trump, insbesondere aber das Team des US-Präsidenten, die Gemeinschaft hinter ihm, verbinden gemeinsame Werte und ideologische Gemeinsamkeiten. Und wenn es sich nicht um solch ein Ego und einen US-Präsidenten handeln würde, könnte man sagen, dass Trump Orbán in gewisser Weise sogar respektiert.

Bleiben wir jedoch bei den Fakten: Der ungarische Premierminister hat mit gutem Gespür, aber auch unter Inkaufnahme eines Risikos, als Erster öffentlich Trumps Sieg unterstützt. Es stimmt auch, dass der kämpferische Orbán gut in die ideologische Konfrontation zwischen Trump und dem europäischen Mainstream passt. Man könnte auch sagen, dass Orbán und seine Anhänger Trumps Hilfstruppe in Europa sind. Anders ausgedrückt: Trump zählt auf Orbán und nutzt ihn sogar im Kampf gegen das europäische politische Zentrum.

Daraus folgt, dass Ungarn auf der politischen Landkarte der neuen US-Regierung angekommen ist und für die USA wichtig ist. Deshalb hilft Trump auf seine Weise Orbán, obwohl er dessen enge Beziehungen insbesondere zu China nicht gerne sieht. Trump scheint toleranter beim Kauf russischer Energieträger zu sein, doch in dieser Frage teilt nicht jeder innerhalb der US-Regierung die Meinung des Präsidenten. Die ungarisch-US-amerikanischen Beziehungen waren schon lange nicht mehr so gut. Nun bleibt nur die Frage, welchen praktischen Vorteil dies für Ungarn bringen wird.

Bei den Verhandlungen ist die brisanteste und – angesichts der US-Sanktionen gegen die russischen Ölkonzerne „Rosneft“ und „Lukoil“– mit größtem Interesse erwartete Frage, ob Ungarn eine Ausnahme erhalten und somit auch in Zukunft russisches Öl kaufen kann. Basierend auf durchgesickerten Informationen bittet Budapest die Vereinigten Staaten darum, anzuerkennen, dass Ungarn kurzfristig aufgrund historischer, geografischer und technischer Gründe nicht von russischem Öl und Gas loskommt, im Gegenzug aber bereit ist, die nukleare Zusammenarbeit mit den USA im Bereich kleiner modularer Reaktoren, der Brennstoff- und Brennelementelagerung zu vertiefen.

Im Hintergrund bahnt sich nicht nur ein energiepolitischer, sondern auch ein geopolitischer „Deal“ an. Ungarns Regierung versucht, ein Gleichgewicht zwischen der Beibehaltung russischer Quellen und der Stärkung der US-Partnerschaft zu finden. Sollte Trump akzeptieren, dass die US-amerikanische Atomenergie in Ungarn eine bedeutende Rolle spielen könnte und vielleicht auch etwas Erdgas geliefert wird, während Russen weiterhin den Kern der Rohöl- und Erdgasversorgung liefern, wäre dies ein weiterer großer außenpolitischer Erfolg für Orbán und könnte auch die Wahlen beeinflussen.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Viktor Orban (Premierminister Ungarns) wird Ende Oktober in Rom von Giorgia Meloni (Ministerpräsidentin Italiens) begrüßt

Bildquelle: Marco Iacobucci Epp / shutterstock


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