
Deutschland im Herbst 2025. Vielleicht geht er in die Geschichte ein: Als Zeitpunkt, an dem die Bundesrepublik aufhörte, Sozialstaat zu sein. Zumindest einer, der diesen Namen verdient. Linken-Politikerin Heidi Reichinnek warnt vor einem „Herbst der Grausamkeit“. Friedrich Merz, BlackRock-Millionär und Bundeskanzler, setzt seine Spielart von Upper Class-Politik in die Tat um.
Ein Kommentar von Paul Clemente.
Wie sang die Punkband Schleimkeim so schön:
„Ich säß so gern im Bundeskanzleramt / Als erster Mann im deutschen Land / Den Reichen würd ich noch mehr geben / Der Pöbel hat genug zum Leben.“
Und wer glaubt, nur Arbeitslose und Bürgergeldempfänger seien betroffen, der liegt falsch: Auch Rente und Krankenversicherung werden gerupft. Mitten in Inflation und Miethorror schubst man einen Teil der Bevölkerung in den sozialen Abgrund.
So wie Ex-Bundeskanzler Gerhardt Schröder die damalige Krise vorschob, um Solidarsysteme zu schreddern, nutzt Merz die gegenwärtige zur Entsorgung verbliebener Sozial-Ruinen.
Nachdem die Ampel mittels Energie-Wende die Wirtschaft massakriert und durch Aufrüstungs-Pläne ein neues Massengrab für Steuergelder geschaufelt hat, verkündet Nachfolger Friedrich Merz:
„Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“
Merz suggeriert, aus einem Sachzwang heraus zu handeln. Nichts als Vorwand. Der Autor des Buches „Mehr Kapitalismus wagen“ hat aus seinem marktradikalen Politikverständnis nie einen Hehl gemacht. Gegenüber Solidaritäts-Appellen hat er sich immunisiert:
„Ich werde mich durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt, nicht irritieren lassen.“
Und die Mainstream-Medien? Gehen wieder brav mit. Was sonst? So weiß der „Merkur“: „Diese Reformen sind notwendig, um die steigenden Kosten und Sparzwänge im Bundeshaushalt zu bewältigen.“ Und das NRW-Blatt „Der Westen“ hetzt regelmäßig gegen Hilfsbedürftige. Aktuelle Schlagzeile: „Arbeitslose lacht: ,Mit Bürgergeld lebt man besser, als wenn man arbeitet’“.
Friedrich Merz spielt den Empörten, wenn er ausruft: „Was ist eigentlich mit diesem System los?“ Was ihn wurmt: „5,6 Millionen Menschen leben im Bürgergeld, davon Millionen Aufstocker.“ - Ja, aber weshalb müssen so viele Bürger „aufstocken“? Antwort: Weil das Gehalt nicht reicht. Weil man die Bundesrepublik in ein Billiglohnland verwandelt hat. Weil Menschen keine drei Jobs parallel bewältigt kriegen, wenn sie nebenbei noch Kinder großziehen. Klar, mit solchen Problemchen würden Blackrock-Millionäre sich nie belasten. Wie bei Neoliberalen üblich, sind die Leidtragenden auch für Merz selber schuld. Viele Sozialleistungsempfänger könnten arbeiten, täten es aber nicht. - Seltsam nur: Wenn es so viel Arbeit gibt, warum tun sich die JobCenter bei der Vermittlung so schwer?
Jedenfalls steht für Merz fest: „Es kann so nicht bleiben.“ Mit dem bisher Erreichten sei er nicht zufrieden. Verbale Unterstützung ertönt aus dem politischen Off: FDP-Chef Christian Dürr feuert den Kanzler an, nicht länger zu zögern, endlich „mutige Reformen“ durchzuziehen. Einer von Dürrs genialen Vorschlägen: Die Bürger sollten private Altersvorsorge betreiben. Durch ein „kapitalgedecktes System wie die Aktienrente.“ Auch das von Merz geplante Rentensystem läuft auf erhöhte Eigenbeteiligung hinaus. Beispiel: Wer eine Monatsrente von 2500 Euro erhalten will, braucht ein Depot von 378.813,28 Euro. Dazu muss er 49 Jahre lang 137,12 Euro pro Monat einzahlen. Kein Problem. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Eine weitere Krise, zu deren Behebung Merz sich berufen glaubt: Die Flaute der Pharmazieunternehmen. Die hatte der Bundeskanzler bereits im Frühjahr als „sozialpolitisch größte Baustelle“ bezeichnet. Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Oliver Kirst, erklärt die Krise durch mangelnde Erstattung der Medikamente. Davon lässt sich Merz freilich nicht irritieren. Nein, um der hiesigen Pharma-Industrie neue Sexyness zu verleihen, intendiert der Kanzler eine Senkung der Lohnnebenkosten. A propos Pharmazie und Gesundheit: In Bezug auf Krankenversicherung hält Merz sich noch bedeckt. Aber manche Andeutung lässt Schlimmes ahnen: „Wo fängt Eigenverantwortung an, wo hört Eigenverantwortung auf und geht in Solidarität über. Diese Grenzen, die müssen auch neu gezogen werden.“ Webseiten wie Finanzkompass.de versprechen im Gesundheitswesen harte Zeiten und absinkendes Versorgungsniveau. Leistungskürzungen im Standard-Katalog seien in der Diskussion, etwa Einsparungen beim Zahnarzt und bei stationärer Behandlung. Empfohlenes Gegengift: Private Zusatzversicherungen natürlich. Was sonst?
Okay, aber die CDU regiert nicht allein. Sie hat noch einen Bündnispartner, die SPD. Wird die beim sozialpolitischen Amoklauf mitrennen? Haben die Sozialdemokraten wirklich nur noch ein AfD-Verbot als Parteiprogramm?
Tatsächlich erhebt mancher Sozi derzeit die Stimme: So verspricht Dagmar Schmidt, Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion: „Leistungskürzungen wird es mit uns nicht geben.“ Und Parteichef Lars Klingbeil? Der will auch Strukturreformen bei Gesundheit, Bürgergeld und Rente, aber:
„Dabei erwarte ich von allen Verantwortlichen mehr Fantasie als einfach nur Leistungskürzungen für die Arbeitnehmer.“
Außerdem forderte Klingbeil gegenüber der Funke-Mediengruppe:
„Menschen, die sehr hohe Vermögen und Einkommen haben, sollten ihren Teil dazu beitragen, dass es in dieser Gesellschaft gerechter zugeht.“
Natürlich wird Merz da nicht mitspielen. O-Ton:
„Mit dieser Bundesregierung unter meiner Führung wird es eine Erhöhung der Einkommenssteuer für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland nicht geben.“
Trotz katastrophaler Umfrage-Werte weiß Bundeskanzler Merz: Er sitzt am längeren Hebel. So forderte er am Samstag von der SPD, künftig „migrationskritisch“ und „industriefreundlich“ zu werden:
„Dann hat diese Partei auch eine Chance, in der Regierung Tritt zu fassen, mitzumachen und die Reformen dieses Landes in die richtige Richtung zu bringen.“
Man kann also getrost mit einem Einknicken der SPD rechnen.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Mann von oben betrachtet einen anderen Mann, der unten ist, Konzept der Macht, Business und sozialen Status
Bildquelle: Cristina Conti / shutterstock
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