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Die Mitschuld am Tod hunderter Journalisten | Von Thomas Röper

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Israelische Kriegsverbrechen

Die Mitschuld der westlichen Medien am Tod hunderter Journalisten in Gaza

In keinem Krieg wurden in so kurzer Zeit so viele Journalisten getötet, wie im Gaza-Krieg. Die westlichen Medien verschließen davor die Augen und unterstützen Israel sogar bei seinen Kriegsverbrechen gegen Journalistenkollegen.

Ein Kommentar von Thomas Röper.

Dass die meisten westlichen Journalisten nicht als Journalisten bezeichnet werden dürften, ist mir schon lange aufgefallen. Der Grund ist, dass sie Journalistenkollegen verraten, wenn diese für ihre Arbeit bestraft werden. Das konnte die ganze Welt am Fall von Julian Assange sehen, zu dem die westlichen Medien weitgehend geschwiegen haben. Eine Medienkampagne, um Druck auf Großbritannien auszuüben, Assange freizulassen, dessen einziges “Verbrechen” die Aufdeckung von amerikanischen Kriegsverbrechen war, für die niemand ernsthaft bestraft wurde, gab es nicht.

Wenn die ukrainischen Geheimdienste russische Journalisten gezielt ermorden, dann feiern westliche Medien dies regelrecht und bezeichnen die russischen Journalistenkollegen nicht als Journalisten, sondern als “Propagandisten” oder “Nationalisten”, die man nach Meinung westlicher Medien anscheinend nicht nur ermorden darf, sondern auch muss.

Ich erlebe den Unterschied in Russland bei jedem Gespräch mit Journalisten, denn die sind solidarisch mit Kollegen, auch wenn die eine andere Meinung vertreten. Russische Journalisten haben noch den Geist des Journalismus, bei dem unter Journalisten auch bei unterschiedlichen Meinungen Solidarität gelten muss, um den Beruf des Journalisten vor Verfolgung zu schützen (Ich weiß, Leser westlicher Medien glauben mir hier kein Wort, aber es ist tatsächlich so. Kein ernstzunehmender russischer Journalist käme auf die Idee, die Ermordung eines Journalisten in der Ukraine zu feiern)

Besonders schlimm ist die Rolle derer, die sich im Westen als “Journalisten” bezeichnen beim Gaza-Krieg, denn in dem Krieg ermordet die israelische Armee gezielt Journalisten. In keinem anderen Krieg sind je in so kurzer Zeit so viele Journalisten getötet worden, wie die israelische Armee in Gaza abgeschlachtet hat.

Darüber habe ich einen sehr informativen und nachdenklich machenden Artikel gefunden, den ich übersetzt habe. Die Links habe ich aus dem Original übernommen.

Beginn der Übersetzung:

Entmenschlichen und zerstören: Wie westliche Medien halfen, Gazas Journalisten ins Visier zu nehmen.

Wafa al-Udaini wurde aus demselben Grund ermordet wie Anas al-Sharif – als Teil einer westlich unterstützten Kampagne, Gazas Journalisten zu diffamieren, zum Schweigen zu bringen und zu eliminieren.

Von Robert Inlakesh | The Cradle

„Die Moderatorin hat mich getötet“

Am 29. September 2024 griff ein israelischer Luftschlag das Haus der vertriebenen palästinensischen Journalistin Wafa al-Udaini in Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens an. Sie, ihr Ehemann und ihre zwei kleinen Töchter wurden getötet. Ihre beiden Söhne überlebten, wurden jedoch verletzt und zu Waisen.

Udaini war schon lange ein Ziel. Zu Beginn des Krieges gegen Gaza trat sie in einer Talk-Sendung im Fernsehen auf, die von der britischen Moderatorin Julia Hartley-Brewer geleitet wurde, die gerade ein sanftes Interview mit dem israelischen Armeesprecher Peter Lerner geführt hatte. Als al-Udaini die israelischen Angriffe auf Palästinenser als „Massaker“ bezeichnete – dasselbe Wort, das Lerner in Bezug zur Hamas verwendet hatte – wurde sie verspottet und abgewürgt. 

Der Ausschnitt ging viral. Israelische Medien nutzten das Interview als Waffe, um al-Udaini zu diffamieren. Bald erhielt sie direkte Drohungen vom israelischen Militär. In privaten Gesprächen beschrieb sie sich als „gebrandmarkte Frau“. In den folgenden Monaten, als sie von The Cradle gefragt wurde, ob sie aus ihrem Haus in al-Rimal in Gaza-Stadt, ausgezogen sei, antwortete sie: „Ich kann das nicht sagen, tut mir leid.“ Sie fügte hinzu:

„Die Moderatorin hat mich getötet … Sie benutzen das Interview, um meine Tötung zu rechtfertigen.“

Monate später tötete Israel Wafa.

Die Ermordung von Wafa war kein Einzelfall. Sie war der Höhepunkt einer Kampagne, die Auslöschung palästinensischer Journalisten zu normalisieren. Die Besatzungsarmee hat sogar eine spezielle Einheit, die diesem Kriegsverbrechen gewidmet ist und als „Legitimationszelle“ bekannt ist.

Die Ermordung von Anas al-Sharif

Das jüngste prominente Beispiel war die Ermordung eines der bekanntesten Reporter Gazas durch Israel, des Journalisten von al-Jazeera Anas al-Sharif, und seiner gesamten Crew. Seit Oktober 2023 sind fast 270 palästinensische Journalisten getötet worden. Die westliche Presse hat aktiv dazu beigetragen, die Ermordung von Journalisten in Gaza zu vertuschen und den Besatzungsstaat nicht zur Verantwortung zu ziehen. Forderungen nach Rechenschaft haben Israel und die westlichen Medien herausgefordert, die die gezielte Kampagne zur Ermordung von Journalisten gedeckt haben.

Bereits im Oktober 2024 veröffentlichte das israelische Militär eine Todesliste mit sechs palästinensischen Journalisten, die für al-Jazeera arbeiteten, und behauptete, der Besatzungsstaat habe Dokumente erlangt, die bewiesen, dass sie entweder Kämpfer der Hamas oder der PIJ seien. Sharif stand auf dieser Liste.

Al-Jazeera wies die Anschuldigungen zurück. Die sogenannten Geheimdienstakten, die Israel veröffentlichte, waren voller Widersprüche, Erfindungen und recycelter Narrative. Eine behauptete, al-Sharif sei Kommandeur in der Nukhba-Einheit der Qassem-Brigaden gewesen; eine andere erklärte, er sei Anfang 2023 bei einer Übung verletzt worden und für den Kampf ungeeignet. Beide Behauptungen können nicht zugleich wahr sein. Tatsächlich ist keine davon zutreffend.

Als der Besatzungsstaat die Ermordung von al-Sharif bekannt gab, verschärfte er seine Diffamierungskampagne, indem er ihn beschuldigte, Raketen abgefeuert zu haben. Ein hochrangiger Funktionär der Hamas wies die Behauptung gegenüber The Cradle unter der Bedingung der Anonymität als „lächerlich“ zurück und merkte an, dass Raketen-Einheiten und Kräfte der Nukhba nicht dasselbe seien und dass Anas nie einer von beiden angehört habe.

Dies waren nicht die ersten Drohungen, die Anas erhielt. Am 22. November 2023 enthüllte er öffentlich, dass israelische Offiziere ihm über WhatsApp gedroht und seinen Standort geortet hatten. Wochen später wurde sein 90-jähriger Vater bei einem Luftschlag auf das Haus der Familie im Flüchtlingslager Jabalia getötet.

Die israelischen Militärdokumente, in denen Anas als Kämpfer bezeichnet wurde, sind seit fast einem Jahr verfügbar. Doch kein großes Medienunternehmen versuchte, sie zu überprüfen. Allerdings wiesen sowohl die UN-Sonderberichterstatterin für Pressefreiheit, Irene Khan, als auch das Komitee zum Schutz von Journalisten die israelischen Behauptungen zurück. Aber die Desinformationskampagne intensivierte sich.

Das israelische Außenministerium begann, alte Fotos von Anas zu verbreiten, die ihn mit Funktionären der Hamas zeigen. Pro-israelische Social-Media-Accounts gruben Jahrzehnte alte Tweets aus, in denen er seine Unterstützung für den Widerstand ausdrückte. Der US-Anwalt Stanley Cohen sagte gegenüber The Cradle:

„Nach dem humanitären Völkerrecht und dem Kriegsrecht sind Journalisten als Zivilisten geschützt. Sie ins Visier zu nehmen kann daher ein Kriegsverbrechen darstellen, selbst wenn sie beim Interviewen von Kämpfern gesehen werden oder in ihrer Berichterstattung positiv über diese und ihre Ziele geschrieben oder sie unterstützt haben.“

Verschwörung und Verstärkung

Obwohl westliche Medien Zugang zu all diesen Informationen und zu Israels langer Geschichte von erfundenen Geschichten hatten, verstärkten sie weiterhin das Narrativ aus Tel Aviv und die Rufmordkampagnen gegen Gazas Journalisten.

Während Israel eine Reihe von Behauptungen aufstellte, um die Ermordung von Anas al-Sharif zu rechtfertigen, gab es keinerlei Rechtfertigung für den Angriff auf das allseits bekannte Zelt des Teams von al-Jazeera, darunter Korrespondent Mohammed Qreiqeh, Assistent Mohammed Noufal sowie die Kameramänner Ibrahim Zaher und Moamen Aliwa.

Trotzdem titelte Reuters Israel tötet Journalisten von al-Jazeera, den es als Hamas-Führer bezeichnet“, eine Schlagzeile, die so viel Gegenreaktion hervorrief, dass sie in das abgeschwächte „Israelischer Angriff tötet Journalisten von al-Jazeera in Gaza“ geändert wurde.

Das deutsche Boulevard-Blatt Bild, die auflagenstärkste Zeitung Europas, veröffentlichte vielleicht die empörendste Überschrift: „Als Journalist getarnter Terrorist in Gaza getötet“, später ebenfalls geändert in „Getöteter Journalist war angeblich ein Terrorist“Fox News und Kanadas National Post stimmten in den Chor ein und plapperten das Narrativ der Besatzungsarmee nach.

Die Berichterstattung der BBC war ebenso mitschuldig. In einem profilartigen Artikel erklärte der britische Sender: „Die BBC versteht, dass al-Sharif vor dem aktuellen Konflikt für ein Hamas-Medienteam in Gaza gearbeitet hat“. Diese unbelegte Behauptung widerspricht Sharifs eigenen, vor dem Krieg geäußerten Kritiken an Hamas. Selbst die palästinensische Widerstandsbewegung bestritt eine formale Zugehörigkeit. Hamas-Funktionär Bassem Naim sagte gegenüber The Cradle, es gebe keine bekannte Beziehung zwischen al-Sharif und „der Bewegung oder ihrem militärischen Flügel“.

Dokumentierte Zielerfassung und Widerspruch in Redaktionen

Die Versäumnisse westlicher Medien begannen lange vor diesen Ermordungen. Israels systematische Angriffe auf Medienarbeiter sind umfangreich dokumentiert. Im August 2024 veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) einen offenen Brief, den über 60 Menschenrechtsgruppen und Journalistenverbände unterzeichnet hatten und der die EU aufforderte, gegen Israels

„beispiellose Tötung von Journalisten und andere Verletzungen der Pressefreiheit“ in Gaza als Teil „weit verbreiteter und systematischer Missbräuche“ vorzugehen.

Innerhalb der Redaktionen wuchs der Widerspruch. Marina Watanabe, ehemals von der LA Times, wurde für drei Monate von der Berichterstattung über Palästina ausgeschlossen, nachdem sie eine Petition gegen die Tötung von Journalisten unterzeichnet hatte. Im Juli unterzeichneten über 100 Mitarbeiter der BBC und 306 Medienfachleute einen offenen Brief, in dem sie den Sender des „anti-palästinensischen Rassismus“ beschuldigten.

In diesem Brief heißt es außerdem:

„Die redaktionellen Entscheidungen der BBC scheinen zunehmend aus der Realität herauszufallen. Wir mussten zu dem Schluss kommen, dass Entscheidungen getroffen werden, um einer politischen Agenda zu entsprechen, statt den Bedürfnissen des Publikums zu dienen. Als Brancheninsider und als Mitarbeiter der BBC haben wir dies aus erster Hand erlebt. Das Problem ist mit den jüngsten Eskalationen in der Region noch dringlicher geworden. Wieder hat die Berichterstattung der BBC Israels Rolle heruntergespielt und damit ein ‚Israel-first‘-Framing verstärkt, das unsere Glaubwürdigkeit untergräbt.“

Laut Cohen könnte es, wenn Medienagenturen oder Reporter nachweislich an Propaganda beteiligt sind, die als Deckung für die gezielte Tötung von Journalisten in Gaza dient, „eine Verschwörung zur Förderung von Handlungen des Völkermords darstellen, da es diese Geisteshaltung und Absicht mit sich trägt“. Er argumentiert, dass solche Fälle gegen Medien und Journalisten zwar schwer vor Gericht zu gewinnen seien, es jedoch Präzedenzfälle für Strafen gebe.

Westliche Konzernmedien sind jedoch nicht nur beschuldigt worden, Israel absichtlich bei der Reinwaschung von Kriegsverbrechen geholfen zu haben, sondern auch in spezifische Fälle offener Entmenschlichung von Gazas Journalisten verwickelt zu sein, die direkt mit Drohungen und Belästigungen korrelierten.

Straffreiheit durch vergangene Tötungen geebnet

Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) schlägt wegen der Ermordung von Journalisten in Gaza seit dem 14. Dezember 2023 Alarm. Dennoch haben westliche Konzernmedien weiterhin Unwissenheit vorgetäuscht und Israels wiederholte Lügen behandelt, als seien sie glaubwürdig.

Reuters, das gerade seine voreingenommene Schlagzeile zur Ermordung von al-Sharif veröffentlicht und dann geändert hat, ist vielleicht einer der schlimmsten Täter bei der absichtlichen Verschleierung von Israels Verbrechen. Am 13. Oktober 2023 griff Tel Aviv eine Gruppe von Journalisten im Süden des Libanons an und tötete den Videojournalisten von Reuters Issam Abdallah. Damals weigerte sich Reuters, den Angreifer zu benennen, und erklärte nur, dass das Geschoss aus Richtung Israel gekommen sei. Erst am 7. Dezember veröffentlichte die Agentur eine Untersuchung, die bestätigte, was ohnehin jeder wusste: Israel war verantwortlich. Zu diesem Zeitpunkt war das Fenster für Rechenschaft längst geschlossen.

Am 11. Mai 2021 wurde die palästinensisch-amerikanische Journalistin von al-Jazeera Shireen Abu Akleh von einem israelischen Scharfschützen erschossen, während sie über eine Razzia der israelischen Armee in der besetzten Stadt Jenin in der Westbank berichtete. Trotz erdrückender Beweise und internationaler Empörung wurden ihre Mörder nicht belangt – ein Präzedenzfall, der den Weg für die heutige Jagd auf Gazas Journalisten ebnete.

Dieses Schweigen – oder schlimmer noch: diese Mittäterschaft – hat Konsequenzen. Ehrlicher Journalismus verlangt Überprüfung, nicht Protokollführung. Jedes Mal, wenn westliche Medien die Lügen aus Tel Aviv nachplappern, helfen sie dabei, das Abschlachten palästinensischer Journalisten zu normalisieren – nicht aus Unwissenheit, sondern um bewusst Propaganda zu verbreiten.

Ende der Übersetzung

Anmerkungen

Robert Inlakesh ist Politikwissenschaftler, Journalist und Dokumentarfilmer. Er berichtete aus den besetzten palästinensischen Gebieten und lebte dort. Er arbeitete für RT, Middle East Eye, The New Arab, MEMO, Mint Press News, al-Mayadeen English, TRT World und verschiedene andere Medien. Er arbeitete als Nachrichtenkorrespondent, Politikwissenschaftler und produzierte zahlreiche Dokumentarfilme.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. 

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Dieser Beitrag erschien am 20. August 2025 auf dem Blog anti-spiegel.

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Bild: Der Fotojournalist Abed Rahim Khatib wird am 1. November 2019 nach dem Eingreifen israelischer Streitkräfte während der Kundgebung „Großer Marsch der Rückkehr“ an der Grenze zwischen Israel und Gaza in Gaza-Stadt an der Hand verletzt

Bildquelle: Anas-Mohammed / shutterstock


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