Kopenhagen, München, Norwegen, Belgien, in ganz Europa gibt es Berichte über Drohnen, die über Flugplätzen und kritischer Infrastruktur kreisen. Woher kommen sie und wohin kehren sie wieder zurück? Will tatsächlich Putin die westlichen Reaktionen testen oder Panik auslösen?
Ein Meinungsbeitrag von Rüdiger Rauls.
Der Russe wars
Der Schuldige an dem Chaos über Europas Himmel war schnell gefunden. Es kann nur Putin gewesen sein. Beweise gibt es nicht, eindeutiges Bildmaterial – Fehlanzeige. Es ist die Rede von Drohnensichtungen. Doch trotz aller Unklarheiten waren die unvermeidlichen Experten überzeugt, dass hinter den Drohnenschwärmen niemand anderes als der Russe stecken könne. Denn nur Putin habe ein Interesse daran beziehungsweise mehrere Interessen. Er wolle die Reaktionsbereitschaft des politischen Westens testen und die westlichen Gesellschaften spalten, um die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben.
Woher solche Experten wohl diese tiefen Einblicke in Putins Überlegungen haben, haben sie doch noch nie ein Wort mit dem russischen Staatschef gewechselt? Aber ob es sich tatsächlich um russischen Angriffe handelte, war anfangs nur Vermutung, denn Beweise fehlten. In der Oberflächlichkeit westlicher Betrachtungsweise und mangelhafter Analysefähigkeit war das der vorschnelle Rückschluss auf das Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum am 10. September dieses Jahres. Durch das Hinzutun von Meinungsmachern und sogenannten Experten aber wurden unbewiesene Vermutungen von Tag zu Tag immer mehr zu Tatsachen.
Doch allmählich scheint man zu erkennen, dass diese reißerischen Berichte Putin und Russland wenig schaden. Vielmehr verursachen die Schließungen der Flughäfen wirtschaftliche Schäden und die Regierenden der westlichen Länder zeigen sich als unfähig, die eigene Bevölkerung vor solchen Bedrohungen zu schützen. Denn bisher können weder abgeschossene noch abgefangene Drohnen vorgewiesen werden, was als erfolgreiche Bekämpfung solcher Gefahren den Bürgern hätte vorgezeigt werden können.
So erklärte denn auch Bundeskanzler Merz am 5.10. dieses Jahres in der ARD-Sendung mit Caren Miosga auf die Herkunft der Drohnen angesprochen:
"Wir wissen das noch nicht genau. Vermutlich werde der wesentliche Teil aber aus Russland gesteuert und solle Deutschland 'testen'." (1)
Man scheint die Diskussion in eine andere Richtung lenken zu wollen, weg von der direkten russischen Urheberschaft hin auf sogenannte Trittbrettfahrer oder gar Putinunterstützer in den eigenen Gesellschaften.
Aber erst tatsächlich abgefangene Drohnen könnten die wirklichen Verursacher herausfinden helfen. Doch habe man sich gegen Abschüsse entschieden wegen der Gefahren für die Bevölkerung durch herabfallende Trümmerteile. Dabei waren über Stunden „große Drohnen“ beispielsweise über dem Kopenhagener Flughafen und anderen militärischen Einrichtungen Dänemarks in der Luft gewesen, „zum kontrollierten Abfangen war aber offenkundig niemand in der Lage“ (2). Soll das eine Erklärung sein für fehlende Beweise? Bis zum 1.10. jedenfalls war immer noch unklar, „woher die Drohnen kamen und wohin sie flogen.“(3)
In Deutschland sollen nun die Staatsanwaltschaften ermittelten. Wie erfolgreich solche Ermittlungen aber sein können, haben die Untersuchungen zur Sprengung der Nordstream-Röhren gezeigt, die nach über drei Jahren immer noch keine abschließenden Ergebnisse gebracht haben. Dagegen konnten die norwegischen Behörden schon nach wenigen Tagen Verdächtige für die Verletzungen ihres Luftraums durch Drohnen vorführen. Es waren drei Deutsche, aber kein einziger Russe. Es stellt sich aber die Frage, warum Deutsche in Norwegen Drohnen im Umfeld von Flughäfen einsetzen, und warum wurden die Verdächtigen dann umgehend ohne Angabe von Gründen wieder freigelassen.
Putins Ziele
Die Vorwürfe der russischen Urheberschaft stützen sich in erster Linie auf Vermutungen von Meinungsmachern und Erkenntnisse sogenannter Experten. Putin selbst erklärte dazu auf der jährlichen Veranstaltung des Valdai-Clubs, dass man zwar weitreichende Drohnen habe, aber keine Ziele im politischen Westen. Er gibt damit zu verstehen, dass man kein Interesse an Angriffen auf Infrastruktur in NATO-Staaten habe. Dass es weitergehende Interessen gibt, die nicht öffentlich mitgeteilt werden, ist möglich. Nur stellt sich die Frage, woher sogenannte westliche Experten diese kennen sollten.
Wenn tatsächlich, wie verbreitet, Russland die Abwehrbereitschaft der NATO-Staaten sollte getestet haben wollen, so muss man sagen, dass dieser Test erfolgreich verlaufen ist. Europäische Flughäfen wurden geschlossen, Flüge abgesagt und Tausende von Passagieren mussten über Nacht in den Flughäfen auf ihren Reiseantritt warten. Vom wirtschaftlichen Schaden ganz zu schweigen. Aber keine einzige dieser Drohnen hatte abgefangen werden können.
Angesichts dieser Bilanz wäre es besser für das Ansehen der betroffenen Regierungen gewesen, die eigenen Vermutungen über Putins Urheberschaft nicht an die große Glocke zu hängen. Schon beim Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum am 10. September dieses Jahres hatte die Luftraumüberwachung des Bündnisses Abwehrschwächen offenbart. Die polnische Luftwaffe hatte von den etwa zwanzig eingedrungenen Flugobjekten nur drei selbst abschießen können, obwohl sie bereits vorher von den Behörden aus Weißrussland auf diese aufmerksam gemacht worden war.
Das proeuropäische ukrainische Medium „European Pravda“ hatte am 10. September gemeldet, dass „die belarussischen Streitkräfte ihre polnischen und litauischen Kollegen zwischen 23:00 Uhr am 9. September und 4:00 Uhr am 10. September ... vor der Annäherung nicht identifizierter Flugzeuge gewarnt hätten“ (4). Es habe sich dabei um russische Drohnen gehandelt, die aufgrund der „Einwirkung elektronischer Kriegsführungssysteme“ [von ihrem Kurs abgekommen] und zunächst von der Ukraine aus in den weißrussischen Luftraum eingedrungen waren.“(5)
Durch diese weißrussische Warnung war es der polnischen Seite möglich gewesen, umgehend auf diese Bedrohung zu reagieren. Zudem seien laut weißrussischem Generalstabschef Pavel Muraveiko schon einige Drohnen „von der belarussischen Luftabwehr über dem Territorium des Landes zerstört worden“.(6) Diese Darstellung der Ereignisse hatte General Wiesław Kukuła, Chef des Generalstabs der polnischen Streitkräfte, weitgehend bestätigt. (7)
All das klingt nicht nach einem russischen Versuch, die Flugabwehr der NATO oder die Widerstandsfähigkeit des gesamten Bündnisses zu testen. Es zeigt sich vielmehr ein umsichtiges Verhalten, das bemüht ist, eine Ausweitung des Konflikts zu vermeiden und alleine auf die Ukraine beschränkt zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte selbst der polnische Ministerpräsident Donald Tusk noch erklärt, dass es „keinen Grund zur Panik gebe“(8). Dabei tut sich Tusk sonst immer wieder gerne als antirussischer Einpeitscher im Ukraine-Konflikt hervor.
Andere Interessen
Nun stellt sich die Frage, was ist zwischen dem 10. September und den ersten Oktobertagen passiert ist. Hat Putin nun doch seine Absichten geändert und fährt einen anderen Kurs gegenüber der NATO? Oder gibt es vielmehr Entwicklungen im politischen Westen selbst, die im Zusammenhang mit dem plötzlichen Auftauchen von Drohnen stehen, die erst als russische ausgegeben wurden, inzwischen aber in ihrem Gefahrenpotential immer weiter herabgestuft werden? Ging wieder einmal mit den Panikmachern und antirussischen Propagandisten in Medien und Politik der Gaul durch?
Jedenfalls hatte nach den Zwischenfall in Polen bis zu Anfang Oktober erst einmal wieder Ruhe an Europas Himmel geherrscht. Dennoch hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union die Vorgänge in Polens Luftraum aufgegriffen und einen Drohnenwall an der Ostflanke des Bündnisgebietes gefordert. Der Schwerpunkt lag dabei auf den östlichen und nördlichen Staaten der EU. Diese Einschränkung hatte nicht zuletzt auch finanzielle Gründe.
Der litauische Präsident Nauseda begründete die Konzentration der Abwehrmaßnahmen auf Gebiete, „die am stärksten exponiert oder am verwundbarsten sind.“ (9). Wollte zum Beispiel Litauen wirklich jeden Zentimeter des eigenen Staatsgebiets schützen, „würde das wahrscheinlich mehr kosten als unsere gesamte Wirtschaftsleistung“(10). Da bisher nur östliche und nördliche Staaten bedroht waren, war zu diesem Zeitpunkt die Leistungsbereitschaft im Süden der EU nicht besonders hoch.
Sie alle stöhnen ohnehin unter der gewaltigen Schulden- und Zinslast, die durch die bisherigen Rüstungsmaßnahmen schon drückend genug sind. Diese Staaten aber gilt es zu gewinnen, soll die 360-Grad-Rundum-Absicherung des EU-Gebietes Wirklichkeit werden. Es droht ein Konflikt zwischen den osteuropäischen und den südeuropäischen Ländern. Die Osteuropäer verlangen mehr Solidarität vom Süden. „Schließlich sei in der Corona-Krise das meiste Geld in den Süden geflossen.“ (11). Es zeichnen sich Verteilungskonflikte ab, je konkreter diese Pläne werden und Zahlen auf den Tisch kommen.
Wie aber können die Staaten des europäischen Südens davon überzeugt werden, dass diese Drohnenabwehr auch in ihrem Interesse ist? Sie sind weit entfernt von Russlands Grenzen, und Putin hat bereits erklärt, dass sie keine Drohnen haben, die bis nach Lissabon fliegen, und auch kein Interesse daran. Besteht also keine Bedrohung für den europäischen Süden? Denn bisher ist er von den Ereignissen im Osten der EU weitgehend verschont geblieben, leistet nur aus Bündnistreue und Solidarität seinen Beitrag, und dieser wird immer drückender. Warum also weitere Lasten sich aufbürden lassen, wenn kein offensichtlicher Grund dazu besteht?
Aber da ist die russische Schattenflotte. Fuhr nicht eines dieser Schiffe an der dänischen Küste entlang, just zu dem Zeitpunkt als unbekannte Drohnen stundenlang und unbehelligt über Kopenhagen und Norwegen kreisten? Könnten deren Schiffe nicht auch als Leitstellen für russische Drohnenangriffe dienen, auch an den südlichen Küsten der EU? Beweise für diese Vermutungen gibt es nicht. Aber trotzdem scheint die Bedrohung real. Die Frage ist, ob das nun auch im Süden so gesehen wird und zu einem Sinneswandel in den südlichen EU-Staaten führt? Der forsche Macron jedenfalls hat, wie es seine Art ist, angesichts möglicher Gefahren eines dieser Schiffe festgesetzt.
Quellen und Anmerkungen
(1) Web.de 6.10.2025 Merz: "Bevölkerung wird mehr vom verfügbaren Einkommen aufwenden müssen"
(2, 3) Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) 1.10.2025 Hilflos gegen Drohnen
(9, 10) FAZ 4.10.2025 In alle Richtungen abwehrbereit
(11) FAZ 1.10.2025 Leuchttürme im Osten
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Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Russische Kampfdrohne
Bildquelle: ivkovmark / shutterstock
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