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„Europa ist auf dem falschen Weg“ | Von Tilo Gräser

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Wer Frieden für die Ukraine will und wer nicht?

Ein Kommentar von Tilo Gräser.

Während die Präsidenten der USA und Russlands Frieden für die Ukraine suchen, wollen die westeuropäischen Führungen anscheinend einen solchen weiter verhindern. Die westeuropäischen Politiker, treue Vasallen der in den USA abgewählten Kriegstreiber hinter Joseph Biden, wollen den Stellvertreterkrieg in dem Land gegen Russland fortsetzen – bis Russland „ruiniert“ ist. Das zeigen ihre sowie die medialen Reaktionen auf den Alaska-Gipfel und das Treffen in Washington am Montag.

Davon künden unter anderem Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der am Dienstag dem französischen Sender TF1/LCI erklärte: „Dieser Frieden darf nicht überstürzt werden“. Macron behauptete tatsächlich, die Europäer wollten wie Trump Frieden für die Ukraine. Dieser sei aber nicht möglich ohne „tiefgreifende Garantien“ – das hätten die Minsk-Abkommen gezeigt. Das sagte der Präsident des Landes, das als eine der Garantiemächte dieser Abkommen nichts dafür tat, dass diese von Kiew eingehalten werden. Stattdessen wirft er Russland vor, diese gebrochen zu haben, ohne Beweise dafür anzuführen.

Dabei ignoriert Macron auch die Aussagen seiner Amtsvorgängers Francois Hollande vom April 2023:

„Es gab die Vorstellung, dass es Putin war, der Zeit gewinnen wollte, dabei wollten wir [Frankreich und Deutschland] Zeit gewinnen, damit die Ukraine sich erholen und aufrüsten kann.“

Das hatte Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit im Dezember 2022 bereits eingestanden: „Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben.“

Geschichtsleugner und Faktenverdreher

In seinem kurzen TV-Auftritt am Dienstag bezeichnete Macron Russland nicht nur als „destabilisierende Macht und eine potenzielle Bedrohung für viele von uns“. Er sieht es auch als „Raubtier“ und „Ungeheuer vor unserer Haustür“, das „eine Bedrohung für die Europäer“ darstelle.

Von Geschichts- und Faktenleugnung kündet auch, was der Bundesaußenminister Johann Wadephul am Dienstag laut der Zeitung Rheinische Post sagte: Nun müsse Russlands Präsident Wladimir Putin sich „bewegen“ und einem Waffenstillstand zustimmen. Einen solchen lehnt Russland auch aus der Erfahrung mit den Minsker Abkommen ab und will stattdessen Friedensverhandlungen. Das hat anscheinend sogar US-Präsident Trump beim Treffen mit Putin überzeugt, weshalb er keinen Waffenstillstand mehr forderte.

Doch Wadephul kümmert das ebenso wenig wie Kanzler Merz, der auf der Plattform X am Dienstag erklärte, Verhandlungen seien erst möglich, „wenn die Waffen schweigen“. Den Bundesaußenminister scheint auch die Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine nicht zu interessieren. Er behauptete, Kiew brauche Garantien, falls sich Russland nicht an eine Friedensvereinbarung mit der Ukraine halte. Damit müsse gerechnet werden, „nachdem Russland ohne jede Not und ohne jede Motivation die Ukraine angegriffen hat“.

Im politischen und medialen Establishment der Bundesrepublik Deutschland und des Westens scheint Panik zu herrschen, weil die Präsidenten der USA und Russlands miteinander reden und sich auch noch gut zu verstehen scheinen. Das sollte normal sein – immerhin handelt es sich um die Staatschefs der beiden größten Atommächte, die immer noch das Potenzial haben, nicht nur einander gegenseitig, sondern die Erde mehrfach zu vernichten. Um das zu verhindern, müssen beide miteinander reden, was zu lange zu wenig bis gar nicht geschah.

Wenn Trump und Putin damit beginnen, wieder normale Beziehungen zwischen beiden Ländern herzustellen, dann nutzt das auch der Ukraine – auf deren Territorium seit Jahren ein Stellvertreterkrieg gegen Russland geführt wird, begonnen von den USA, die diesen nun beenden könnten. Ob das auch geschieht, werden wir sehen, und es wird sich zeigen, ob diese Entwicklung dauerhaft ist.

Waffen statt Diplomaten

In einem Telefon-Interview mit dem Sender Fox News äußerte Trump am Dienstag Verständnis für Russlands Widerstand gegen eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Den Kiewer Wunsch danach sieht er demnach als Kern des Konflikts. Doch im Unterschied dazu stellen die deutschen Politiker, Medien und „Experten“ sich nicht einmal die Frage, ob die russische Sicht nicht vielleicht berechtigt ist, und wenn es nur aus Moskauer Perspektive ist. Ein Grundsatz der Diplomatie ist die Fähigkeit, „sich in die Schuhe des anderen zu stellen“. Oder wie es die nordamerikanischen Indianer sagen:

„Gehe hundert Schritte in den Schuhen eines anderen, wenn du ihn verstehen willst.“

Wenn das die Politik- und Mediendarsteller im Westen und vor allem in Deutschland könnten und wollten, gebe es den Krieg nicht. Wobei hierbei auch die Frage zu beantworten bleibt, ob der Krieg nicht folgerichtig war: Krieg ist zum einen im Kapitalismus immer auch ein Mittel, um Krisen zu lösen. Zum anderen ist er die Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln und sichert zumindest kurzfristig Maximalprofite, für die es in Friedenszeiten mehr Zeit braucht. Dennoch ist auch die friedliche Konfliktlösung überlebensnotwendig für alle, da es sich eben bei den USA und Russland um die größten Atommächte handelt. Das scheint zumindest in Moskau und Washington begriffen worden zu sein.

Dagegen fehlt bis heute jeglicher Ansatz einer echten Friedensinitiative aus der EU, um den Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich zu beenden. Stattdessen kommt von Merz und Co. nur die alte tödliche Leier: mehr Geld und mehr Waffen für Kiew. Das kritisiert Harald Kujat, ehemaliger Bundeswehr-Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Er erklärte am Sonntag im Gespräch mit der Schweizer Zeitung Die Weltwoche, es sei klar gewesen, dass Trump und Putin beim Gipfel keine Vereinbarung zum Kriegsende in der Ukraine ohne diese treffen.

„Es war offensichtlich so, dass die Europäer grundsätzlich den Fuß in der Tür haben wollen, dass sie irgendwie dabei sein wollen, aber man muss eben ihnen auch sagen: Ihr habt dreieinhalb Jahre nichts dafür getan, dass dort Frieden entsteht.“

Nur der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán habe versucht, die EU aus ihrer Sackgasse herauszuholen und sei dafür heftig kritisiert worden. Kujat bewertete den Alaska-Gipfel positiv und verwies auf das offensichtlich gute Verhältnis zwischen Putin und Trump. Zu beobachten bleibe, ob sich die EU-Politiker nun tatsächlich in die Bemühungen des US-Präsidenten integrieren werden und nicht Bedingungen stellen, die nicht erfüllbar seien – das sagte er vor dem Washington-Treffen.

„Es gibt nur einen Weg, um eine katastrophale militärische Niederlage der Ukraine zu verhindern. Und dieser Weg heißt Friedensverhandlungen. Das ist entscheidend.“

Der Ex-General wundert sich, warum noch kein EU-Politiker Selenskyj aufgefordert hat, sein eigenes Dekret vom Dezember 2022 aufzuheben, das Verhandlungen mit Russland und mit Putin verbietet. Kujat zeigt sich überrascht von Trumps Kurswechsel, indem er vom Streben nach einem schnellen Waffenstillstand, der wahrscheinlich nicht halten würde, umschwenkte auf einen „klaren Verhandlungskurs“. Das sieht er als den entscheidenden Punkt des Alaska-Gipfels und zugleich als den „einzig erfolgversprechenden Weg“ für ein Ende des Ukraine-Krieges.

Ignoriertes und Erkenntnisse

Die meisten Beobachter des Geschehens übersehen oder ignorieren allerdings die Aussage des russischen Präsidenten, der zum Gipfelabschluss den Krieg in der Ukraine als „Tragödie – eine furchtbare Wunde“ bezeichnet hat und hinzufügte:

„Deshalb ist Russland aufrichtig daran interessiert, dem ein Ende zu setzen.“

Laut dem US-Sondergesandten Steve Witkoff hat sich Putin gegenüber Trump dazu bereit erklärt, gesetzlich zu verankern, dass Russland nach einem Friedensabkommen keine weiteren Gebiete der Ukraine annektieren wird. Er habe zudem zugesagt, keine europäischen Grenzen zu verletzen, berichtete Witkoff am Sonntag gegenüber dem US-Sender Fox News. Letzteres würde der wahnwitzigen Aufrüstung im Westen und vor allem in der EU den Boden entziehen, die mit der angeblichen „russischen Gefahr“ begründet wird.

In Russland wird natürlich anders auf den Gipfel in Alaska und das Treffen in Washington geblickt. So hat der russische Politologe Timofej Bordatschow den Gipfel als Erfolg für Trump und Putin bezeichnet. Bordatschow ist Programmdirektor des Waldai-Klubs und wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für umfassende europäische und internationale Studien an der Nationalen Forschungsuniversität Higher School of Economics (HSE). Er stellte unter anderem fest:

„Das wichtigste praktische Ergebnis dieses Gipfels war, dass die führende westliche Macht ihre Doktrin der ‚Isolation und strategischen Niederlage‘ Russlands aufgab.“

Das stelle einen Bruch mit dem bisherigen Paradigma dar, in dem jede abweichende Nation zu einem Paria (Ausgestoßener) der „internationalen Gemeinschaft“ degradiert wurde. Dieser Wandel vollzog sich laut Bordatschow nicht dank des guten Willens der USA, „sondern unter dem Druck Russlands, der globalen Mehrheit und der inneren Konflikte in den USA“. Er sieht einen „Sieg Moskaus“, der „unweigerlich die Unabhängigkeit anderer Nationen weltweit stärken“ werde.

Zu den Ergebnissen des Alaska-Gipfels und des Treffens in Washington gehört allerdings aus Sicht des Militärexperten Juri Podoljaka, dass es keine ernsthaften Fortschritte in Frage des ukrainischen Territoriums gebe. Seine Schlussfolgerung:

„Daher wird der Krieg vorerst weitergehen. Das ist das wichtigste Ergebnis.“

Podoljaka wird in einem Überblick des russischen Onlineportals RT DE über russische Reaktionen auf die Gespräche zitiert. Bei den Gesprächen in Washington über Sicherheitsgarantien für die Ukraine würden Europa und Kiew in ihrer gemeinsamen Position auf „Minsk 3“ zusteuern, so der Militärexperte. Das bedeute, der Krieg werde „eingefroren“, damit das „Nazi-Regime wieder einmal seine Wunden lecken, sich bewaffnen und sich auf den nächsten Kampf mit Russland vorbereiten kann“. Podoljaka ist sich sicher, dass Russland darauf nicht eingehen wird. „Das gab es schon einmal, und das Ergebnis einer solchen Entscheidung ist leicht vorherzusagen.“

Emotionen statt Politik

Bei dem Treffen Trumps mit den Europäern und Selenskyj sei es weniger um die Ukraine als vielmehr darum gegangen, die Realität der transatlantischen Beziehungen offenzulegen, sagte Fjodor Lukjanow, Chefredakteur von Russia in Global Affairs, gegenüber RT laut dem Bericht.

„Die eigentliche Erkenntnis war, wie deutlich der Charakter der Beziehungen innerhalb der westlichen Gemeinschaft offenbart wurde.“

Aus Sicht von Lukjanow haben die Westeuropäer keine politische Handlungsfähigkeit mehr in ihren Beziehungen zu Washington, was schon unter Joseph Biden begonnen habe. Trump behandele Europa „offen als ein Werkzeug – in erster Linie ein finanzielles –, das die Vereinigten Staaten von lästigen Ausgaben befreit“, nicht als einen Partner, dessen unabhängige Position berücksichtigt werden müsse. Der zugrunde liegende Kurs der USA sei seit einem Vierteljahrhundert unverändert und werde sich nicht ändern, „egal wer im Weißen Haus sitzt“, so der russische Politologe.

Eine interessante Perspektive auf den Alaska-Gipfel und des Washington-Treffens bietet auch der ungarische Diplomat György Varga. Er war in Russland, der Ukraine und Moldawien diplomatisch tätig, unter anderem als Botschafter, und von 2017 bis 2021 Leiter der OSZE-Beobachtermission in Russland. Aus seiner Sicht hat die US-Außenpolitik „endlich den Kurs eingeschlagen, den Präsident Trump bereits im Wahlkampf angekündigt und im Januar begonnen hatte“.

Der erfahrene Diplomat erklärte in einem am Dienstag veröffentlichten Podcast-Interview, dass der Gipfel in Alaska und der Umgang mit dem russischen Präsidenten dabei dem diplomatischen Protokoll entsprach. Zu den westlichen Journalisten und Politikern, die das Treffen von Trump und Putin als „Theater“ beschreiben, sagte er, dass diese sich in den letzten Jahren in eine Russlandfeindseligkeit hineingesteigert hätten. Deshalb sei für sie der Empfang für Putin durch Trump in Alaska ein „Stich ins Herz“ gewesen.

„Das ist eine sehr, sehr schlechte, im Grunde emotional begründete Haltung und keine rationale Außenpolitik.“

Varga sagte, er sehe es mit einer rationalen Haltung für selbstverständlich an, dass Großmächte so miteinander umgehen müssen, wie es in Alaska zu sehen war. In Bezug auf das Treffen Trumps mit Selenskyj und westeuropäischen Politikern, stellte er fest, dass Bundeskanzler Merz als Einziger für die vom US-Präsidenten bereits verworfene Idee eines Waffenstillstands eintrat. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni habe dabei im Weißen Haus mit ihrer Mimik nicht verbergen können, dass Merz gegen die Absprachen handelte.

Interessen und Verbrechen

Der ungarische Diplomat warf dem deutschen Kanzler vor, die Interessen Deutschlands und Europas zu missachten und aufzugeben. Die Politik Berlins und Brüssels schade der eigenen Wirtschaft, während Merz die US-Politik beeinflussen und schon Bundeswehrsoldaten in die Ukraine schicken wolle.

„Er behauptet Unmögliches, plant Unmögliches und gibt die deutschen und europäischen Wirtschaftsinteressen völlig auf.“

Das liege an der Person von Merz, so Varga, der auf dessen Verbindungen zum US-Finanzverwalter BlackRock verwies. Der deutsche Kanzler sei „in seiner Ideologie so sehr mit der globalen Finanzelite, der amerikanischen Demokratischen Partei und der früheren Biden-Regierung verbunden“ und könne sich anscheinend nicht davon lösen. Zu den westeuropäischen Vorschlägen, eigene Truppen zur „Friedenssicherung“ zu stationieren – was Moskau weiter kategorisch ablehnt –, erklärte Varga, damit würden NATO-Stützpunkte in der Ukraine unter einem Vorwand errichtet. Damit zeige sich die „Koalition der Willigen“ als eine „Koalition der Unruhestifter“. Für den Diplomaten ist klar:

„Leider vertreten sie auch in dieser Frage nicht die europäischen Interessen, denn wenn es tatsächlich gelingt, Frieden zu erreichen, und die Ukraine die Neutralität akzeptiert, gibt es keine größere Garantie, als dass die Ukraine ein neutrales Land ist und keine fremden Truppen auf ihrem Territorium stationiert sind.“

Er warf der „Koalition der Willigen“ vor, den Krieg ebenso wie die russlandfeindliche Politik nicht stoppen zu wollen, obwohl das zum eigenen Schaden sei. Die EU falle es schwer, zur Normalität zurückzukehren. Sie befinde sich damit „auf einem sehr falschen Weg“, stellte Varga fest. Er wirft den europäischen Politikern beziehungsweise den Regierungen, die nach Washington kamen, vor, „konkrete Verbrechen in diesem Krieg begangen“ zu haben, „bei seiner Vorbereitung und Durchführung“. Dazu gehöre die Unterstützung für den Maidan-Putsch im Februar 2014 und das nicht durchgesetzte Minsker Abkommen 2015, obwohl es ein Dokument des UN-Sicherheitsrates war:

„Die Ukraine hat diese Vereinbarung nie umgesetzt, niemand hat sie dazu aufgefordert, also haben sie in schuldhafter Weise die Voraussetzungen für den Krieg geschaffen.“

Varga zählt auch dazu, dass der ehemalige britische Premier Boris Johnson im April 2022 die Kiewer Führung davon abhielt, das mögliche ukrainisch-russische Friedensabkommen zu unterzeichnen. Damit sei verhindert worden, dass der Krieg nach sechs Wochen wieder enden konnte, wozu Moskau und anfangs auch Kiew bereit gewesen seien. Dagegen erkenne Washington inzwischen die Realitäten an und wolle wieder normale Beziehungen zu Russland herstellen. Es sei offensichtlich, dass die US-Führung erkannt habe, dass der Krieg in der Ukraine verloren ist.

Der ungarische Diplomat machte auf die bisher 700 Milliarden Dollar an westlicher Hilfe, vor allem militärischer, für die Ukraine aufmerksam. Davon profitiere die westliche Rüstungsindustrie. Die hätte den Krieg in der Ukraine genutzt, „um die in der Zeit des Kalten Krieges angehäuften Waffenbestände aus den Lagern der Rüstungsunternehmen und der Geldgeber hinter ihnen zu räumen, deren weitere Lagerung oder Vernichtung nur Kosten verursacht hätte“. Der Westen habe alte Technik geliefert, während nun die Rüstungsindustrie auf Hochtouren laufe. Es sei klar:

„Wenn Frieden einkehrt, dann werden die Aktien der Rüstungsunternehmen natürlich fallen. Also werden diejenigen, die moralisch von diesem Krieg betroffen sind, für dessen Fortsetzung stimmen, weil sie der Meinung sind, dass der Aggressor bestraft werden muss.“

Verrat und Ideologie

Wer nur moralisch auf das Geschehen schaue, suche nicht nach den Gründen für den Krieg und interessiere sich nicht für die Interessen im Hintergrund, so Varga. Aus seiner Sicht verrät die europäische Politikelite die Ukraine erneut, wenn sie sich den territorialen Realitäten verweigert. Russland baue jeden Tag seine militärischen Erfolge und das eroberte Territorium aus.

„Je mehr der Westen also Zeit schindet und sich auf ukrainische Interessen beruft, desto mehr arbeitet er jeden Tag gegen die Interessen der Ukraine. Jeden Tag kommen weitere Quadratkilometer unter russische Kontrolle.“

Deutschland agiere wie Frankreich und Großbritannien „derzeit aus einer rein ideologischen Position“ bestätigte der Philosoph und Publizist Hauke Ritz in einem Interview am Dienstag mit dem Sender Kontrafunk. Die westeuropäische Politik interessiere sich nicht dafür, „was die Realität ist“. Sie würden noch nicht mal darüber nachdenken, dass sie es mit einer Nuklearmacht zu tun haben. Damit würden sie das Risiko einer aus den Fugen geratenen Eskalationsspirale ignorieren, so Ritz.

„Sie wollen die Realität auf den Schlachtfeldern der Ukraine nicht zur Kenntnis nehmen, dass ein Sieg Russlands unvermeidlich geworden ist.“

Merz habe „Fantasievorstellungen darüber, dass Russland aus Europa rausgeschlossen werden könnte, dass es möglich sei, eine Nuklearmacht irgendwie zu besiegen oder seine Macht zu reduzieren.“ Zu den Folgen des Handelns aus einer ideologischen Haltung heraus gehöre, dass die westeuropäische Politik „geopolitisch nicht relevant“ sei. Der Philosoph und Publizist fordert angesichts der deutschen Geschichte eine Politik, die „vor dem Hintergrund der Erfahrung des Ersten Weltkriegs, des Zweiten Weltkriegs, der deutschen Teilung, des Kalten Krieges jetzt eine vernünftige Position im Ukraine-Krieg“ einbringt.

„Wir könnten als Friedensmacht auftreten, als diplomatische Kraft in der Tradition Willy Brandts und Egon Bahrs, aber leider tun wir das nicht, sondern wir nehmen diese beinharte ideologische Position ein, die realitätsfremd ist.“

Ritz hat kürzlich das Buch „Warum der Weltfrieden von Deutschland abhängt“ veröffentlicht. Er schlägt als Alternative zur Politik der Konfrontation ein Konzept einer gemeinsamen Sicherheit vor, das nicht mehr versucht, die Sicherheit durch die Anhäufung von Waffen zu monopolisieren. Das erfordere Rüstungsbeschränkung und neue Rüstungskontrollmechanismen. Für den Publizisten könnte der Alaska-Gipfel „der erste Schritt zu einer Wiederbelebung der Abrüstungsverträge der 70er Jahre“ gewesen sein, „ohne die es in den 80er Jahren schon zum Atomkrieg gekommen wäre“.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Emmanuel Macron (Präsident Frankreichs) und Friedrich Merz (Bundeskanzler Deutschlands)

Bildquelle: EUS-Nachrichten / shutterstock


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